Hilfsorganisationen setzen sich für die Schwachen und Benachteiligten ein. An sich löblich, aber auch hier gibt es eine Kehrseite der Medaille. Abhängigkeiten, Druck von außen und finanzielle Herausforderungen gilt es zu bewältigen, um der eigenen Ideologie gerecht zu werden.
Die Verantwortung von Hilfsorganisationen ist im letzten Jahrhundert massiv gestiegen. Nicht nur in Anbetracht der rein wirtschaftlichen Komponenten, sondern insbesondere auch hinsichtlich des Vertrauens, das ihnen als nichtstaatliche Akteure geschenkt wird. Eine Erwartungshaltung, die ihnen nicht wenig abverlangt und zugleich Kritiker auf den Plan ruft.
Aktuell berichten die Medien fast ausschließlich über Covid-19, doch das war wenige Wochen zuvor noch anders. Da stand die Flüchtlingsproblematik in Griechenland mitunter im Fokus der Aufmerksamkeit.
So fasst Ylva Johansson, EU-Migrationskom-missarin, vor kurzem in der ARD Tagesschau zusammen: „Ein großer Erfolg und ein Zeichen von Solidarität, dass das trotz der Corona-Krise funktioniert“. Sie spricht über die 47 in Deutschland angekommenen Flüchtlingskinder aus den überfüllten griechischen Lagern. Für NGOs kein großer Erfolg, wenn man bedenkt, dass sechs Wochen zuvor von der Bundesregierung beschlossen wurde, dass 1600 Flüchtlingskinder aufgenommen werden sollen. Als Erklärung dafür wird auf die komplexen Auswahlverfahren verwiesen.
Hier wird deutlich, wie unterschiedlich NGOs und Regierungen Geschehnisse werten und welche Macht die Medien scheinbar inne haben zu berichten. Doch das sind nicht die einzigen Herausforderungen, vor denen Hilfsorganisationen stehen.
NGO, das Akronym für Non-Govermental Organisation, steht für Nichtregierungsorganisationen oder im Deutschen abgekürzt NROs. Etabliert hat sich der Begriff insbesondere durch die 1945 formulierte Charta der Vereinten Nationen.
Sie charakterisieren sich dadurch, dass sie nicht gewinnorientiert arbeiten und, wie der Name schon sagt, nicht-staatlich organisiert sind.
Der große NGO-Boom begann im 20. Jahrhundert, welches stark geprägt wurde durch die Weltkriege und dem großen Leid der Gesellschaft. Als erste internationale NGO gilt in der Literatur die Anti Slavery International Society aus Großbritannien, die bereits 1839 gegründet wurde.
Abb. 1: eigene Darstellung nach Zahlen des „Yearbook of International Organizations“
Einhergehend mit dieser Entwicklung steigt der Wettbewerb unter den NGOs, da die Spendenkapazität und – bereitschaft nicht gleichermaßen mithalten konnte und die Lage in den öffentlichen Haushalten auch eher angespannter ist.
Deutschland verzeichnet aktuell 616.000 Organisationen der Zivilgesellschaft, zu denen Vereine, Stiftungen, Genossenschaften, gemeinnützige GmbHs und gAGs zählen.
„Im Jahre 2014 waren in diesem Sektor mehr als drei Millionen Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt – also dreimal so viele, wie im gesamten Gastgewerbe angestellt sind. Oder anders ausgedrückt: Mindestens jeder zehnte Beschäftigte in Deutschland arbeitet in einer Einrichtung des gemeinnützigen Sektors,“ wie es Dr. Anaël Labigne, Jana Priemer und Janina Kempf in einer Bertelsmannstudie vergleichen.
So stellt sich schnell die Frage, warum NGOs nicht kooperieren. Das ist auch immer wieder ein Argument der Kritiker. Die Herausforderung besteht hier insbesondere in den teilweise doch sehr unterschiedlichen Weltbildern der Einzelnen. Zudem unterscheiden sie sich teilweise sehr stark in Größe und Erfahrung, wodurch kollektives Handeln eher als zu aufwändig betrachtet wird.
Erste gemeinsame Initiativen zur Qualitätssicherung existieren bereits, wie das „SPHERE-Projekt“ oder die „Codes of Conduct“. Auch in Plattformen wie dem „Humanitarian Practice Network” und im “Active Learning Network for Accountability and Performance“ tauscht man sich aus, vorrangig nur auf technische Fragen bezogen.
Im Zeitraum von Januar bis September 2019 haben ca. 15,7 Millionen Deutsche insgesamt 3,3 Milliarden Euro gespendet. Laut DZI Spenden Almanach (2020) ist „damit die Spendenbeteiligung in Deutschland mit zuletzt 55 Prozent zwar immer noch geringer als etwa in Großbritannien (2017: 68 Prozent), den Niederlanden (66 Prozent), Norwegen (65 Prozent), den USA (61 Prozent) oder der Schweiz (60 Prozent), nimmt aber im Feld der 146 untersuchten Staaten mit Platz 19 einen hohen Rang ein.“
Dennoch sind Experten besorgt. Dr. Max Mälzer, Geschäftsführer des Deutschen Spendenrats e.V. resümiert: „Der Trend der letzten Jahre, dass immer weniger Menschen spenden, bleibt leider ungebrochen. Erfreulicherweise sind die Auswirkungen auf das gesamte Spendenvolumen dennoch gering. Das ist zurück zu führen darauf, dass die durchschnittliche Spende pro Spendenakt und die Spendenhäufigkeit pro Spender stieg.“ Aber: nach wie vor spendet die Generation 70plus am meisten. „In Anbetracht der offensichtlichen demografischen Entwicklungen ist dies sicherlich ein Fingerzeig auf die zukünftigen Spendenentwicklungen“, ergänzt er. So sind die NGOs gezwungen auch ihren Finanzierungsmix durch neue Alternativen zu ergänzen.
Es stellt sich die Frage, welche Summen NGOs händeln müssen. Das Jahresbudget von Greenpeace International übersteigt mit seinen 61 Millionen (2019) beispielsweise sogar knapp das Budget des Umweltprogramms der UN. Die Budgets von Staaten und Wirtschaftsunternehmen stehen dennoch nicht annähernd im Verhältnis zu denen der NGOs und überragen sie massiv.
NGOs finanzieren sich recht facettenreich. Sie setzen auf
Weitere Einnahmequellen entstehen durch das Anbieten von Serviceleistungen, wie dem Verfassen von Zeitungsbeiträgen, Beratungen oder dem Verkauf von Vereinszeitungen. Zu der traditionellen Spendenbüchse sind damit längst innovative Alternativen gekommen. Nicht zuletzt auch das Crowdfunding, wo durch die Masse an i.d.R. online generierten Kleinbeiträgen Projekte finanziert werden können. Andere budgetieren durch den Einsatz von professionellen Fundraisingagenturen, die für sie Spenden an Infoständen, an der Haustür oder durch Mailingkampagnen akquirieren. Und wieder andere werden staatlich oder von Unternehmen finanziell unterstützt oder gesponsert. „Weitere Einnahmequellen sind erwirtschaftete Zinsen, Nachlässe oder Bußgelder oder, wie im Fall von der Welthungerhilfe mit rd. 131,7 Mio. Euro sehr großvolumig, so genannte zweckgebundene öffentliche Zuwendungen. Hierzu zählen in erster Linie das Auswärtige Amt (AA), das Bundesministerium des Inneren (BMI), das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie die Europäische Union (EU). Insbesondere das BMI und BMZ heben als Zuwendungsgeber hervor, sodass Hilfsorganisationen zwischen Staat und Markt agieren,“ laut Thomas Hockenbrink, Autor des Buches „Nachhaltigkeit und Balanced Scorecard“.
Letzteres sehen NGOs zwiespältig, weil sie bemüht sind, ihre Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit zu wahren. Aber nur wenig Hilfsorganisationen verzichten weitgehend auf staatliche Finanzierungen, wie beispielsweise Ärzte ohne Grenzen. Martin Quack, Politikwissenschaftler und unabhängiger Berater zu Humanitärer Hilfe und Friedenspolitik, kommt zu dem Entschluss: „Bei vielen NGOs machen diese vielmehr einen erheblichen Anteil der Mittel aus, zum Teil liegt dieser bei über zwei Dritteln des Gesamteinkommens (Welthungerhilfe, HELP, Tierärzte ohne Grenzen)“.
NGOs kooperieren nicht selten auch mit Unternehmen, um die Kassen zu füllen.
Eine sehr bekannte und medial sehr stark platzierte Kampagne fand 2003/2004 mit dem WWF (world wide fund for nature) und Krombacher statt. „Mit jedem Kasten Krombacher schützen Sie einen Quadratmeter Regenwald“, hieß es im Trailer.
Bereits in der ersten Zusammenarbeit kamen 1,7 Millionen Euro für die Regenwald-Stiftung des WWF zusammen, um ein Schutzgebiet in Zentralafrika (siehe Abb. 2) zu finanzieren.
Abb. 2: Regenwald Afrika © kuzmichtudio, stock.adobe.com
Der Erfolg zog auch Kritiker an. So titelt Beatrice Kugge in der Süddeutschen Zeitung „Fliegen für den Regenwald – Mit dem Urlaubsjet ein bisschen Umwelt retten“.
„Nicht grundsätzlich falsch sei die Kampagne“, sagt Undine Kurth, die naturschutzpolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen. „Immerhin sollen mit den erwarteten zwei Millionen Euro Einnahmen 24 Quadratkilometer Regenwald geschützt werden. Da es aber selbst die kleine Nordseeinsel Pellworm auf 36 Quadratkilometer bringt, sprechen die Akteure lieber von 25 Millionen Quadratmetern.“
Die Beteiligung der Fluggesellschaft LTU grenzt für die Bundestagsabgeordnete Kurth an „Ablasshandel“: „Naturschutz darf nicht zum Werbegag einzelner Unternehmen verkommen.“
Peter Prokosch, Geschäftsführer des WWF Deutschland von 2002-2006, hält dagegen: „Wir scheuen uns nicht auch mit Partnern zusammenzuarbeiten, die Probleme verursachen. In der Kooperation sehen wir eine Chance für die Umwelt.“
Kritisiert wird vor allem, dass die Kampagne für den Tourismusgiganten LTU keinen verhältnismäßig großen Invest ausmachte. Laut Prokosch wurde er auf 250.000 Euro beziffert, was auf die Laufzeit der Aktion pro Fluggast 17 Cent ausmacht. „Eine Reise nach Mallorca sollte eher 1000 Quadratmeter Regenwald wert sein.“, dementiert Karl Otto Schallaböck, Verkehrsexperte am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie.
Die Kampagne 2003 wurde unterbrochen und wegen unlauterem Wettbewerb eingestampft. Daraufhin wechselten die beiden Partner ihre Strategie und Krombacher verpflichtete sich 2004 ein Sponsoring in Höhe von 500.000 Euro an die Stiftung zu leisten, um das Regenwaldprojekt weiterzuführen. Dafür wurde das Projekt medial extremst gepusht. Von 20 Spots pro Woche in 140 Radiosendern war die Rede. Darüber hinaus gab es eine Medienkooperation mit der Cinestar-Gruppe, sodass die Kampagne auch im Kino Gehör fand. Krombacher versprach sich dadurch höhere Abverkaufszahlen und eine thematische Verbindung zum Umweltschutz für ihre Marke.
Der WWF sucht immer wieder neue Unternehmenskooperationen, wobei es nicht immer vorrangig um Sponsoring geht. Ein Beispiel hierfür wäre das Fischereisiegel mSC (Marine Stuartship Council), das seit 13 Jahren als Zertifizierung für nachhaltige Fischerei verliehen wird. Man möchte hiermit der Überfischung der Ozeane vorbeugen und zugleich zu Standards in puncto Nachhaltigkeit verpflichten.
Diese Beispiele zeigen, wie wichtig es für NGOs ist, ihre Authentizität und damit verbunden ihre Glaubwürdigkeit zu wahren. Nicht zuletzt hätte jede Negativschlagzeile auch Einfluss auf ihre philanthropische und solidarische Wahrnehmung und damit auf ihre zukünftigen Ressourcen.
Auf der anderen Seite hilft jeder Presseniederschlag in der Spendenakquirierung. Je mehr berichtet wird, desto mehr Aufmerksamkeit erreicht die NGO.
Genau diese Medienpräsenz dürfte Ärzte ohne Grenzen im Januar 2005 etwas überrumpelt haben. Sie starteten einen Spendenaufruf für die Flutopfer in Südostasien. Innerhalb kürzester Zeit kamen 50 Millionen Euro zusammen. Da damit ihre möglichen Unterstützungen refinanziert waren, baten sie darum die zweckgebundenen Überweisungen einzustellen. Ein Beispiel für einen transparenten und seriösen Umgang mit Spendengeldern.
Der Fokus liegt hier auf zweckgebunden. Eine NGO darf eine Spende, die für ein bestimmtes Projekt deklariert wurde, nicht einfach an anderer Stelle einsetzen. Das ist der Grund, aus dem NGOs ungebundene finanzielle Unterstützungen bevorzugen.
Den NGOs ist die Wirkung ihrer PR-Aktivitäten in der Öffentlichkeit bewusst. Genau deshalb haben sie sich weiterentwickelt, insbesondere in ihren Fundraisingmethoden. So nahmen sie das Feedback der Gesellschaft sehr ernst, wonach sogenanntes „starving baby fundraising“ als pietätlos empfunden wurde. Sie stellten die Werbung mit Schreckensbildern aus den Entwicklungsländern ein, um zukünftig nicht mehr über die emotionale Betroffenheit Spenden zu akquirieren und ihr Image zu wahren (siehe Abb. 3).
Abb. 3: werben mit positiv behafteten Werbebotschaften © Riccardo Niels Mayer, stock.adobe.com
Um auf dem deutschen Spendenmarkt eine gewisse Qualität zu sichern und über unlautere Praktiken zu informieren, wurde 1893 das Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen (DZI) gegründet. Das Institut gilt als seriöse Informationsquelle und als Kontrollorgan für die Organisationen, indem es sein Spendengütesiegel nur nach eingehender Prüfung auf Transparenz und Mittelverwendung vergibt. Das Qualitätszeichen soll zudem seriöse Organisationen untereinander einfacherer vergleichbar machen.
Das DZI wurde 1893 durch die Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur e. V. als rechtlich unselbständige Abteilung gegründet. 1906 wurde sie mit dem Namen Zentrale für private Fürsorge e. V. als eingetragener Verein selbständig; seit 1957 ist sie eine Stiftung bürgerlichen Rechts mit Namen Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI).
Das positive Image der NGOs und damit verbunden ihre Glaubwürdigkeit nahm die international tätige PR-Agentur Edelmann 2002/2003 in ihrer Studie „trust in institutions“ näher unter die Lupe. „In Europa belegen NGOs mit weitem Abstand sogar die ersten Plätze der Vertrauens-Skala vor verschiedenen bekannten Firmen und Markennamen, wie Microsoft, Bayer und Coca Cola. Und im Zusammenhang mit der Frage der Glaubwürdigkeit von Sprechern bei Werbekampagnen belegen Vertreter von NGOs, sowohl in Europa als auch in den USA, immerhin den dritten Platz von fünfzehn angegebenen Alternativen. Repräsentanten von NGOs genießen also ein großes öffentliches Vertrauen und hängen damit sowohl Politiker als auch Vorstandsvorsitzende großer Firmen in Sachen Glaubwürdigkeit ab,“ erklärt Janina Curbach in ihrem Buch „Global Governance und NGOs“. Genau solch Studien belegen eindringlich, welcher Erfolgsdruck und welche Verantwortung mittlerweile auf den NGOs lasten.
Friedensnobelpreise von NGOs
Besondere mediale Aufmerksamkeit wurde dem NGO-Sektor geschenkt, als ihnen bzw. ihren Ver-tretern der Friedensnobelpreis verliehen wurde.
1901 erhielt Henri Dunant, der Begründer des Roten Kreuzes, den ersten Friedensnobelpreis, 1977 ging die Auszeichnung an Amnesty Interna-tional und 1999 an Ärzte ohne Grenzen.
Das Standing der NGOs in der Gesellschaft wird auch kritisch beäugt.
Der österreichische Zukunftsforscher Matthias Horx etwa äußert in diesem Zusammenhang in seinem Buch „Future Fitness“, Greenpeace sei „eher ein globaler Konzern ohne wirklich demokratische Kontrolle, mit schwindenden Themen, der nach wie vor mit gigantischen Spendengeldern operieren kann.“
Was genau wird den NGOs vorgeworfen? Grundtenor der Kritik ist der Vorwurf, NGOs werden durch diverse Akteure instrumentalisiert. Hinzu kommen Vorwürfe bzgl. Korruption und Ineffektivität, insbesondere formuliert von der Weltbank. Die Kritik geht gegen die Höhe der Werbe-, Personal- und Verwaltungskosten, die nicht im Einklang mit den Projektausgaben steht. Die Hilfen würden nicht dort ankommen, wo sie tatsächlich benötigt werden.
Ein weiterer Kritikpunkt spricht die inszenierte Öffentlichkeitsarbeit an. Aufgrund der finanziellen Abhängigkeit von Spenden befürchtet Janina Curbach,
dass Probleme nur noch selektiv gelöst werden, je nachdem, ob die Thematik gerade den Nerv der Öffentlichkeit trifft. Andernfalls muss die Problematik teilweise den medialen Zugpferden weichen.
NGOs können nur dort aktiv werden, wo sie auch die finanziellen Mittel zur Verfügung haben. Gibt es keine Zuschüsse von den (zwischen-) staatlichen Geldgebern, so sind auch die Unterstützungen in diesem Gebiet begrenzt. Insbesondere dann, wenn die NGO in ihrer Finanzierungsstrategie größtenteils darauf angewiesen ist. Humanitäre Hilfe kann sich so also auch ungerecht verteilen. Ganz abgesehen davon, dass die Geldgeber natürlich damit auch einen gewissen Druck auf die NGOs und damit auf die Ausrichtung der humanitären Hilfen ausüben können.
In Krisen, die von den Geberinstitutionen als besonders relevant eingestuft werden, führt es dazu, dass eine Hilfsorganisation für nur 7000 Einwohner zur Verfügung steht, wie 1999 im Kosovokrieg. Grund dafür: ein Großteil der Zerstörungen ist auf die Bombardierungen der NATO in Jugoslawien zurückzuführen, die sich im Nachgang auch für die Versorgung verantwortlich fühlten. So wird sie noch heute als eine in jeder Hinsicht überfinanzierte Krise gesehen. Ein Umstand, der nicht zuletzt auch auf starke Medienpräsenz zurück zu führen ist.
Auf der einen Seite sind NGOs auf Unterstützungen vom Staat angewiesen, auf der anderen Seite können ihnen Regierungen auch zum Verhängnis werden. So erging es 2004 Ärzte ohne Grenzen. Ein holländischer Mitarbeiter der Organisation wurde im tschetschenischen Konflikt entführt und mittels einer Million Euro Lösegeld vom holländischen Staat wieder freigekauft. Da Holland in dem Konflikt aber nicht neutral, sondern als Verbündeter der Regierung von Vladimir Putin wahrgenommen wurde, missfiel Ärzte ohne Grenzen die Einmischung und sie weigerten sich die Lösegeldzahlung zu erstatten. Paradoxerweise war die Organisation gezwungen, jegliche finanzielle Mittel Hollands abzuwehren, um ihre Neutralität zu wahren und damit auch die Sicherheit ihrer Mitarbeiter-Innen vor Ort nicht aufs Spiel zu setzen.
Nur wenn die Organisationen als neutral wahrgenommen werden, bekommen sie die Chance mit den Warlords in den Kriegsgebieten zu verhandeln und damit den Zugang zur hilfsbedürftigen Bevölkerung. Und trotzdem gehen die Entsandten ein hohes Sicherheitsrisiko ein. So sollen in den 1990er Jahren in Afrika mehr humanitäre Helfer ermordet worden sein, als Soldaten im Rahmen von UNO-Interventionen.
Auch Flüchtlingslager können zur Zielscheibe werden, wenn sich dort Vertriebene lokal konzentriert sammeln, wie beispielsweise in den Kriegen in Liberia oder Sierra Leone.
Ein weiteres Problem von Flüchtlingslagern wurde 1994 in Ruanda deutlich. Hier wurden die Kampfruhe auf dem Gebiet und die Versorgung durch die Hilfsorganisationen ausgenutzt und das Lager hinter den Kulissen zu einem Ausbildungs- und Rekrutierungszentrum der Kriegsgruppen umfunktioniert. „Sie dienten oft als Versteck für Waffen und als Rückzugsbasis für Kampftruppen,“ erklärt Martin Quack, Professor der ETH Zürich.
Medien berichten viel, insbesondere bei Krisen. Meist wird hier auf NGOs gebaut, da sie als Fachjournalisten für die Regierungen fungieren. Sie haben damit auf der einen Seite die Möglichkeit, die Ausrichtung der Berichterstattung mitzubestimmen und parallel dazu, auf der anderen Seite, auch die eigene Arbeit zu positionieren.
Regierungen und NGOs sind abhängig voneinander. NGOs werden oft als Experten von Regierungen beratend zu politischen Themen hinzugezogen. Und sie nehmen immer mehr an diversen Gipfeln teil. So waren NGOs bei der WTO (Welthandelsorganisation) und IWF (Internationaler Währungsfond) in Seattle und Prag vertreten, wie auch auf dem
Millenniumsgipfel in New York. „Auch auf dem Brüsseler Parkett (EU) sind sie bereits seit einiger Zeit präsent. Hier verfügen die in der Entwicklungshilfe tätigen NGOs inzwischen über eine Dachorganisation bzw. einen Verbindungsausschuss, der die Kontakte zwischen NGOs und den Institutionen der EU in Form einer Zweibahnstraße in geregelte Bahnen zu bringen versucht,“ wie Annette Zimmer in ihrem Buch „NGOs – Verbände und Demokratie“ aus der FAZ zusammenfasst.
„NGOs werden nicht gewählt. Die Frage ist damit auch, wem sie Rechenschaft schuldig sind – denjenigen, deren Interessen sie vertreten, ihren eigenen Werten oder denjenigen, die sie finanzieren. NGOs befinden sich also in einer widersprüchlichen Situation. Einerseits vertreten sie die Interessen von politisch marginalisierten Gruppen und bieten denjenigen ohne politische Rechte (z.B. Migrant-Innen) eine Möglichkeit, sich zu engagieren. Andererseits fehlt ihnen ein politisches Mandat. Die finanzielle Abhängigkeit von Geldgebern birgt die Gefahr der Kooptation“, wie Silke Roth, Professorin für Soziologie am Institut für Soziologie, Sozialpolitik und Kriminologie an der University of Southampton (UK) anregt.
Viele Zusammenhänge, die es gilt zu berücksichtigen, wenn man humanitäre Hilfe beurteilen möchte. Und auch wenn fast alle Akteure einen positiven Impact für Schwächere schaffen wollen, darf man die Hintergründe, Risiken und Abhängigkeiten nicht außer Acht lassen. Vermutlich haben alle noch einen steinigen Weg vor sich im Kampf für das Gute. Bis dahin muss man sich vermutlich über jedes einzelne Kind freuen, dem in irgendeiner Weise geholfen werden konnte. Über jedes Stück Wald freuen, was gerettet wurde und über jeden Erfolg, wenn eine Tierart von der roten Liste verschwindet.
Nadine Sachse ist seit zwölf Jahren im NGO-Sektor tätig. Bereits während ihres Studiums zur Dipl. Kommunikationswirtin hat sie namhafte Hilfsorganisationen im face2face-Fundraising vertreten. Heute leitet sie die Abteilung „strategische Entwicklung Media und PR“ der Werbeagentur „talk2move“.
„Für mich war recht früh klar, dass ich mit meinem Job etwas bewegen möchte in der Welt und da ist Aufklärungs- und Medienarbeit eine gute Variante. Meine Reisen haben dieses Credo nur nochmal untermalt,“ Nadine Sachse.
Abb. 4: Nadine Sachse
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Abb. 1: eigene Darstellung nach Zahlen des „Yearbook of International Organizations“ aus Roth, R. (2000) NGOs und transnationale soziale Bewegungen als Akteure für eine „Weltzivilgesellschaft“. Available at: https://www.boell-hessen.de/archivseite/pol/ngos.htm (Accessed: 19 April 2020).
Abb. 2: Regenwald © kuzmichstudio, stock.adobe.com
Abb. 3: Werben mit positiv behafteten Werbebotschaften © Riccardo Niels Mayer, stock.adobe.com
Abb. 4: Autorin Nadine Sachse © Nadine Sachse
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